2011 interviewte der Business Insider Elon Musk und den Dokumentarfilmer Chris Pair. Zitate daraus (übersetzt ins Deutsche):
BI: „Zumindest in den USA wird der meiste Strom mit fossilen Brennstoffen erzeugt. Hauptsächlich Erdgas und Kohle. Wie ist der relative Kohlenstoff-Fußabdruck eines Roadsters oder Model S im Vergleich zu einem Benzinfahrzeug? Ich habe dieses Argument von Leuten gehört, die in der Ölindustrie arbeiten.”
Chris: „Es ist komisch, dass sie dieses Argument vorbringen, denn sie sind einer der größten Stromverbraucher des Landes, bei der Raffination von Benzin. Deshalb führen Stromkabel in die Raffinerien. Sie brauchen ungefähr 4 bis 6 Kilowattstunden Strom, um jede Gallone Benzin zu raffinieren. Sie beziehen diesen Strom aus derselben Quelle, die sie für Elektroautos kritisieren, und sie erzielen damit viel schlechtere Ergebnisse.”
Elon: „Ganz genau. Chris hat eine nette Art zu sagen, dass man genug Strom hat, um alle Autos im Land anzutreiben, wenn man aufhört, Benzin zu raffinieren. Man braucht durchschnittlich 5 Kilowattstunden, um Benzin zu raffinieren, womit das Modell S etwa 20 Meilen fahren kann. Wenn Sie die Raffination beenden, haben Sie im Grunde genommen schon die Energie, die für den Antrieb von Elektrofahrzeugen benötigt wird.”
In einem Satz zusammengefasst behaupten die beiden, dass zur Produktion von einer Gallone Benzin 5 kWh Strom verbraucht wird (das entspricht 1,32 kWh je Liter).
Kann das sein? Dazu schauen wir uns zunächst die tatsächlichen Verluste in den Raffinerien an.
Eine amerikanische Untersuchung von 2015 ermittelte eine Energieeffizienz der Raffinieren von durchschnittlich 89 %. Das weicht kaum von früheren Ergebnissen ab: „The energy consumption of the refining industry in 2012 represented approximately 10% of the total energy supplied to U.S. refineries.“
Der Brennwert von 1 Liter Benzin werde mit 9,41 kWh angenommen. Das ergibt ca. 9,41 x 0,11 = 1,04 kWh / Liter.
Der gesamte Energiebedarf der Raffinerien je Liter Benzin ist kleiner als der von Pair und Musk behauptete Strombedarf!
Strom ist teuer. Wenn möglich, erzeugen die Raffinerien die nötige Prozesswärme daher nicht mit Elektrizität. 2019 machte der Strombedarf in den USA daher nur ca. 3 % des Gesamtenergieverbrauchs der Raffinerien aus. Drei Prozent von 1,04 kWh sind 31 Wattstunden.
Pair und Musk hatten behauptet, die Raffinerien verbrauchten 1320 Wattstunden
Wie hatte es zu diesem kapitalen Fehler kommen können?
Dazu muss man einen Blick auf der Raffinerung vorgelagerte Bereiche werfen. Für eine erste, grobe Abschätzung lässt sich der gesamte Energieaufwand zur Kraftstoffherstellung mit dem so genannten Primärenergiefaktor[i] abschätzen. Dieser beträgt für Benzin 1,27. Die Gewinnung von einem Liter Benzin erfordert demnach insgesamt ca. 9,41 x 0,27 = 2,54 kWh.
Andere verlässliche Quellen (z.B. die Gemeinsame Forschungsstelle der Europäischen Kommission, EUCAR und CONCAWE) geben nur etwa 2,0 kWh/l an. Sogar Auke Hoekstra behauptet nicht mehr als 2,2 kWh/l!
Im Interview mit dem Business Insider wird ein Stromverbrauch von 4 bis 6 kWh je Gallone kolportiert; der höhere Wert entspricht 1,6 kWh je Liter. Das legt eine Vermutung nahe:
Chris Pair und Elon Musk haben weitere Energiebedarfe (z.B. für Ölförderung, Zwischenlagerung, Transport und Verarbeitung) mit dem Strombedarf verwechselt
Ein Balkendiagramm stellt die Größenordnung des Fehlers dar:

Der Bereitstellungsaufwand für die Vorkette (der zweite Balken von oben) wird selbstverständlich in allen seriösen Klimabilanzen berücksichtigt (weshalb Pair und Musk nichts Neues zur Diskussion über die Umweltbelastung durch Kraftstoffe beigetragen haben). Der Strombedarf der Raffinerien jedoch ist im Vergleich zu den anderen Energieaufwänden verschwindend gering.
An der Legende, dass Teslas damit etliche Meilen fahren könnten, ist nichts dran.
Die ersten Widerlegungen waren schon schon kurz nach dem Interview erschienen (z.B. dort), fanden aber kaum Beachtung.
Der Irrtum des großen Meisters wird heute noch als Beleg für Umweltvorteile des Elektroautos zitiert, so z.B. von
- Julian Affeldt (im Hauptberuf Lehrer für Mathematik, Physik und Geowissenschaften, außerdem Gründungsmitglied der Interessengemeinschaft Elektromobilität Berlin-Brandenburg. Das Zitat findet sich z.B. dort und da):

- Redaktion e-engine: „Sechs Liter Diesel (und soviel benötigt ein Mittelklassediesel im Schnitt für 100 km) verursachen bei Einbeziehung des obigen „grauen“ Energieaufwands immerhin schon 42 kWh Stromverbrauch – noch BEVOR der Diesel irgendeinen km gefahren ist.”
e-engine beruft sich auf einen Schundartikel eines Andreas Burkert, der von Prof. Uwe Gärtner dort zerlegt wurde:
„Schöpfer der fantastischen „42 kWh für 6 Liter Diesel“ ist in diesem Fall ein Fachjournalist namens A. Burkert, der diesen Energieaufwand nach verschiedenen Quellen errechnet hat und sein Rechenergebnis im letzten Jahr als „Antwort auf die „Sinn-Studie“ in einem Gastkommentar bei springerprofessional veröffentlichte, (Burkert, 2019)“ - ElektroautoCoach: „Alleine in der Raffinerie werden etwa 11 kWh Strom benötigt, um die 7 l Benzin herzustellen. Zum Vergleich: Ein Tesla Model S verbraucht auf 100 km etwa 20 kWh Strom. Mit anderen Worten: Allein schon mit der Menge Strom, der für die Umwandlung von Öl zu Benzin benötigt wird, fährt der Tesla etwa 55 km weit.”
- Peder Norby , SCD.Com Guest Columnist: “It is a simple fact that the refining of gasoline requires approximately 6 kWh of electricity per gallon of gasoline.”
Und er wird unter Berufung auf Quellen dieser Qualität weiterhin auf Twitter verbreitet, z.B. hier: „Bis 6l Diesel aus dem Zapfhahn fließen sind schon 42kWh Strom verbraucht worden.“
Der Energieberater Mario Sedlak schrieb dazu: „Es ist bemerkenswert, welche abenteuerlichen Behauptungen basierend auf dubiosen Quellen so oft zitiert und geglaubt werden. Oft nannten mir die Elektroautofans mitreißende Videos als „Beleg“. Das zeigt einmal mehr, wie wenig man solchen Videos glauben darf. Man muss immer Quellen einfordern und nachprüfen, bevor man außergewöhnlichen Behauptungen Glauben schenken darf. Dass es keine seriösen Seiten gibt, wo die 1,6 kWh/l stehen, hätte den Gläubigen zu denken geben sollen.“
15. Oktober 2020
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[i] Der Primärenergiefaktor (PEF) hat den Zweck, „im Sinne einer vollständigen Bilanz die Energieverluste und Energieaufwendungen (Brennstoffe oder Strom) bei der „Förderung, Aufbereitung, Umwandlung, Transport und Verteilung“ eines Endenergieträgers in seiner vorgelagerten Kette zu quantifizieren.“