Warum Durchschnittsstrom Studien über Elektroautos wissenschaftlich wertlos macht

Immer mehr Studien behaupten Klimavorteile von Elektroautos. Begründet wird das in der Regel mit Treibhausgasemissionen, die auf dem Durchschnitts-Strommix basieren. Dahinter verbirgt sich ein grober, methodischer Fehler.

Die Alternative zum Durchschnittsstrom ist der Marginalstrom (auch Zusatz- oder Differenzstrom genannt). Damit ist der Strom gemeint, der bei steigendem Bedarf zusätzlich zu erzeugen ist. Dieser Beitrag soll knapp und verständlich erklären, warum bei neuen Stromverbrauchern der Marginalstrommix zu verwenden ist. [1]

Dazu wollen wir schauen, was tatsächlich in den Kraftwerken geschieht, wenn mehr E-Autos geladen werden müssen. Wir gehen von der gegenwärtigen deutschen Stromerzeugung mit einer Ökostromquote von ca. 45 % aus. [2] Der gesamte Strombedarf erhöhe sich aufgrund der ladestromhungrigen E-Autos beispielsweise von 100 auf 110 Prozent.[3] Welche Kraftwerke können diesen Bedarf decken?

(Gesamte Stromerzeung, links Öko-, rechts Fossilstrom; Angaben in Prozent)

Die Stromproduktion von Solaranlagen und Windrädern hängt von Wind und Wetter ab und schwankt stark. Aufgrund der Vorrangregelung des EEG speisen sie grundsätzlich immer die gesamte, aktuelle Leistung ins Netz ein. Leistungsreserven für erhöhten Strombedarf haben sie nicht. Der zusätzliche Ladestrom (hier rot markiert) kann daher nur von fossilen Kraftwerken geliefert werden. [4] Ergebnis: Die Ökostromquote sinkt von 45 auf 41 Prozent (45/110).

Wer die Elektroautos bilanziell mit Durchschnittsstrom betreiben will, läuft Gefahr, Luftbuchungen vorzunehmen, weil der darin enthaltene Ökostrom bereits Abnehmer hat und von den elektrifizierten Autos nicht noch einmal verbraucht werden kann.
Die Marginalstrombetrachtung hingegen kann die Umweltbelastung, die sich aus der Umstellung auf Elektroautos ergibt, korrekt erfassen.

Welchen Unterschied das für die Klimabilanz ausmacht, zeigt die folgende Grafik:

Greenwashing-Effekt des Durchschnittsstroms am Beispiel des Elektroautos ZOE (dazu die Emissionen des gleich großen Modells Clio desselben Herstellers Renault; Infos zu den verwendeten Daten siehe Kommentar vom 24.6.2020)

Der Durchschnittstrommix wird angewandt, um Elektroautos niedrigere Treibhausgasemissionen bescheinigen zu können.

Ein häufiges Scheinargument

Nicht nur Elektroautofahrer, auch viele Wissenschaftler versuchen zu verschleiern, dass der Ladestrom zusätzlichen Fossilstrom in gleicher Menge bedingt. Gegen den Marginalstrom wenden sie meist ein, dass Elektroautos aus demselben Stromnetz versorgt werden wie Kühlschränke und Smartphones und darum auf die gleiche Weise zu bilanzieren seien.

Doch das ist ein Pseudoargument, sofern es tatsächlich um die Frage gehen soll, ob Elektroautos dem Klima nützen. Grund: Die Methodik der Klimabilanzerstellung hat sich nach dem Zweck der Analyse zu richten.

Wenn der Auftrag an die Wissenschaftler lautet, Politiker darüber zu informieren, ob die staatlich geförderte Einführung eines neuen Produktsegments (z.B. E-Autos oder Wärmepumpen) die Treibhausgasemissionen zu senken hilft, dann ist zu untersuchen, welche Folgen es hat, wenn dieser Schritt verwirklicht wird.
Elektroautos sind entbehrlich, sie müssen nicht sein. Erweist sich die Klimabilanz als ungünstig, so kann man die Förderung einstellen und auf sparsame Verbrenner umschwenken. Es gilt somit herauszufinden, was sich dadurch ändert, dass es überhaupt Elektroautos gibt – und wie es wäre, wenn es sie nicht gäbe. Für eine in diesem Kontext sinnvolle Klimabilanz sind genau zwei Zustände zu vergleichen:

  • Zum einen das gesamte Stromerzeugungssystem mit der Ladestromlast aller E-Autos
  • Zum anderen dasselbe System ohne Ladestromlast

Nur mit diesem Vergleich lässt sich bestimmen, welche Auswirkungen auf die Treibhausgasemissionen die Elektromobilität hat. Dies vorausgesetzt, muss der Ladestrom im Rahmen einer Klimabilanz selbstverständlich als zusätzliche Stromproduktion eingestuft werden. Zusatzstrom jedoch ist Marginalstrom; damit verbietet es sich, dem gesamten Ladestrombedarf rechnerisch Durchschnittsstrom zuzuordnen.

Und wann ist es richtig, Klimabilanzen mit Durchschnittsstrom zu errechnen?

Sollen Klimabilanzen für bereits etablierte Stromverbraucher erstellt werden, so ist die Fragestellung meist eine vollkommen andere. Wenn Produkte weder abgeschafft noch ersetzt werden sollen, stehen keine Entscheidungen an, deren ökologische Konsequenzen zu bewerten sind.[5] Systemzustände „mit und ohne Produkt“ zu vergleichen ergibt dann keinen Sinn.

Solche Klimabilanzen haben in der Regel andere Ziele, z.B. den Fortschritt der Energiewende eines Landes über die Zeit oder im Vergleich zu anderen Ländern zu bewerten. In diesem Kontext sind alle Verbraucher gleich. Dann ist es in der Tat zweckmäßig, jedem Verbraucher Durchschnittsstrom zuzuweisen; für eine weitere Differenzierung besteht kein Grund.


Für Klimabilanzen zur Bewertung von Produkten, die neu eingeführt werden sollen, gilt das ausdrücklich nicht. Fahrer von Elektroautos wehren sich dennoch mit Händen und Füßen gegen den Marginalstrommix und bestehen darauf, Durchschnittsstrom zu tanken. Für den einzelnen Ladevorgang stimmt das sogar – nicht jedoch bei der Betrachtung des gesamten Ladestrombedarfs im Rahmen einer Klimabilanz. Das wird spätestens beim Blick auf den umgekehrten Fall offensichtlich: Was würde passieren, wenn die soeben hinzugefügten Elektroautos wieder vom Netz getrennt werden? Das sehen wir in der folgenden Grafik:

Wieder reagieren nur die fossilen Kraftwerke auf die veränderte Last. Nur diese regeln ihre Leistung herunter, und zwar genau um den gesunkenen Ladestrombedarf. Die Ökostromkraftwerke laufen aufgrund der Vorrangregelung des EEG mit voller Leistung weiter. Die Ökostromquote hat sich wieder erholt.

Weniger Elektroautos führen zu einer höheren Ökostromquote!

„Stimmt doch gar nicht!“ rufen die Elektroauto-Fans empört. „Die Erneuerbaren Energien werden doch immer weiter ausgebaut, und damit werden Elektroautos, anders als die Verbrenner, immer sauberer!“

Das überprüfen wir sogleich:

Begonnen hatten wir (ganz oben) mit einer Ökostromquote von 45 %.

Dann kamen die Elektroautos hinzu. Weil der zusätzliche Ladestrom vollständig fossil erzeugt werden muss, sank die Quote auf 41 %.

Danach wurde die Stromerzeugung aus EE ausgebaut auf 50 % (55 von 110 Einheiten).

Hat das auch die Klimabilanz des Elektroautos verbessert? Keineswegs. Die Last des zusätzlichen Ladestroms für Elektroautos ist für das Stromnetz nun insgesamt zwar besser zu tragen, sie ist aber nicht verschwunden. Vor allem jedoch ist diese Last weiterhin ausschließlich von fossilen Kraftwerken zu tragen. Das kann man daran erkennen, was passieren würde, wenn man die Elektroautos jetzt abschaltete. Der unterste Balken stellt es dar: Nur Fossilstrom wird heruntergeregelt. Die Ökostromquote steigt auf 55 % !

Auch bei steigender Ökostromquote gilt somit:

  • Der Ladestrom von Elektroautos erzwingt immer die Produktion fossilen Stroms in gleicher Höhe.
  • Realistische Klimabilanzen von Elektroautos müssen daher immer auf dem Marginalstrom basieren.

Anmerkungen zum Schluss:

  • Die Vorstellung, nachts EE-Überschussstrom zu tanken, der ansonsten vergeudet wäre, ist nur ein schöner Traum: „Nicht verwertbare Überschüsse sind selten.“
    Die Bundesnetzagentur stellte für 2019 fest: „Es können weiterhin über 97 Prozent der EEG-Erzeugung verbraucht werden.“
    Das wird auch für die kommenden Jahrzehnte gelten: „Die Forscher haben untersucht … ob … die Überschüsse an Strom aus fluktuierenden erneuerbaren Energien gezielt durch Elektroautos genutzt werden könnten. Sie kamen zu überraschenden Resultaten: Wenn der Ausbau der Leitungsnetze bis 2030 so funktioniert, dass Netzengpässe kein Problem mehr darstellen, dann wird der fluktuierende erneuerbare Strom aus Wind und Sonne fast immer vollständig durch herkömmliche Verbraucher genutzt – auch ganz ohne Elektrofahrzeuge.“
  • Elektroautos können erst dann von Nutzen sein, wenn der Marginalstrom nicht mehr von fossilen Kraftwerken geliefert wird. Das wird erst in einigen Jahrzehnten der Fall sein, wie diese Grafik zeigt:
Erzeugung zusätzlichen Stroms nach der Merit Order (Prinzipdarstellung)
„Residuallast“ ist die Strommenge, die nicht regenerativ erzeugt werden kann. Die schwarzen Striche markieren die (stark schwankende) notwendige Zusatzproduktion.
Wichtig: Trennte man alle E-Autos vom Netz, so würde nur die Fossilstromproduktion verringert werden. Greenwashing-Studien versuchen, diesen Zusammenhang zu verschleiern.
  • Welche Beispielwerte (z.B. für Ökostromquote oder Ladestrombedarf) verwendet werden, spielt für das Ergebnis dieser Überlegungen keine Rolle, solange der Marginalstrom fossiler Natur ist. Es kommt immer das gleiche heraus: Elektroautos sind unnütze Stromverbraucher, welche die Energiewende verzögern.
  • Auch dieser häufige Einwand ist nicht stichhaltig:
    „Aber „marginal ist immer fossil“ ignoriert absichtlich Feedbackeffekte, nämlich, dass das EEG vorschreibt, dass die Erneuerbaren einen Prozentsatz des Gesamtstromverbrauchs ausmachen müssen. Daher wird Mehrverbrauch heute, der durchaus fossil sein kann in Zukunft zu einem Ausbau der Erneuerbaren führen.“
    Dazu werfen wir einen Blick in das EEG:
    „Ziel dieses Gesetzes ist es, den Anteil des aus erneuerbaren Energien erzeugten Stroms am Bruttostromverbrauch zu steigern auf
    1. 40 bis 45 Prozent bis zum Jahr 2025,
    2. 55 bis 60 Prozent bis zum Jahr 2035 und
    3. mindestens 80 Prozent bis zum Jahr 2050.“
    Das ist keine Vorschrift, sondern eine völlig unverbindliche Absichtsbekundung. Die Ansicht, dass mehr Stromverbrauch (z.B. von Elektroautos) den Anteil erneuerbarer Energien erhöht, ist schlicht falsch. Das Gegenteil trifft zu: Strom sparen ist (neben dem Ausbau der EE) der richtige Weg zu diesem Ziel.
    Die Zahl der Elektroautos hat auch auf lange Sicht keinerlei Einfluss auf den Ausbau der Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien. Die Ökostromquote steigt zwar (zumindest stieg sie bisher), das geschah bislang jedoch unabhängig von den Elektroautos. Nichts deutet darauf hin, dass sich daran etwas ändert: Werden mehr E-Autos verkauft, geht der Ausbau an EE nicht schneller voran. Würde der Bestand an E-Autos sinken, so würde das den Ausbau nicht verlangsamen.

Elektroautos sind der Energiewende keine Hilfe, sondern zusätzliche Last


[1] Der Kürze zuliebe kommt dieser Text nicht ohne Vereinfachungen aus. Wer sich z.B. darüber informieren möchte, ob Lademanagement, Überschussstrom oder die lokale Abregelung von Windkraft den Durchschnittstrommix plausibler machen, sei auch auf andere Seiten verwiesen, z.B. diesen sehr empfehlenswerten des Energieberaters Mario Sedlak.

[2] Die X-Achse der drei Strom-Grafiken gibt Prozentwerte an. 100 Prozent stehen für den gesamten Strombedarf im Ausgangsszenario.

[3] Dazu müsste man ca. jedes zweite Auto elektrifizieren. Die genauen Zahlen spielen für die folgende Argumentation aber keine Rolle, die folgenden Überlegungen gelten uneingeschränkt auch für jedes einzelne, zusätzliche Fahrzeug.

[4] Welches fossile Kraftwerk genau (ob z.B. ein Braunkohle- oder Gaskraftwerk) aufgrund des Ladestrombedarfs eines bestimmten E-Autos die Leistung erhöht, lässt sich selbst anhand der Merit Order nur für den Beginn des Ladevorgangs bestimmen, weil „Grenzverbraucher“ und „Grenzkraftwerk“ sich laufend ändern.
Das stellt den Marginalstromansatz aber nicht infrage. Die fossile Stromerzeugung für die Gesamtheit der E-Autos kann entweder mit Grenzkraftwerk-Ladeszenarien modelliert und rechnerisch simuliert werden, oder aber man setzt einen plausiblen fossilen Strommix an.

[5] Die Marginalstrombetrachtung kann auch für konventionelle Produkte zur richtigen Methode werden, wenn z.B. eine ältere Generation von Geräten mit einer sparsameren ersetzt werden soll. Dann ist in der Tat die Verringerung der Emissionen über die gesamte, mittlere Nutzungsdauer mit dem Marginalstrommix zu ermitteln und gegen die (natürlich auf die gleiche Weise zu berechnenden) Herstellungsemissionen abzuwägen.

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